Sonntag, 25. April 2004
Eines Abends in den ersten Oktobertagen
Eines Abends in den ersten Oktobertagen des Jahres 1653 saßen in der Schankwirtschaft „Der lusstige Specht“ in Koblenz nahe bei dem churmainzischen Tor vier Männer beieinander, die hatten schon über den ganzen Abend hinweg getrunken und gelacht und über Gott und die Welt gesprochen und allerlei mutige Ideen erwogen und die eine oder andere davon auch, wenn gewiss war, dass das Lärmen an den Nachbartischen dort nicht vernehmen lassen würde, was sie untereinander zu bereden hätten, in raunendem Ton den anderen ins Ohr gesagt, da meinte um die Mitternachtsstunde einer der vier, der schon rot im Gesicht war vom Wein und von der Tollkühnheit, die ihn ergriffen, und rief’s sogar halblaut aus, sich nicht scherend um das Drumherum, und wurde, als er’s gesagt hatte, umgehend totenblass und blickte sich um, ob die Büttel schon hinter ihm stünden und ihn gleich packen und fortschaffen würden, so dass er vor dem Tagwerden auf dem Schafott enden müsse, und die anderen rückten sogleich von ihm ab und hätten wollen fortlaufen, wenn sie nicht allesamt gezittert hätten vor der Ungeheuerlichkeit des Ausgesprochenen, so dass einer seinen Becher umstieß und die Magd herbeilief mit offenem Mund und die ganze Stube verstummte, alle Dortigen verspürend die Starrheit, die unsere vier Leute so plötzlich und auf den Schlag befallen, und wissend, dass hier Großartiges geschehen: „Wir wollen – Gedankenfreiheit.“ Das Wort war schon ganz heiser hervorgestoßen worden, mit der letzten Kraft, die der Mut noch geben kann, bevor die Todesangst ganz die Seele ganz in Besitz genommen hat in einem solchen furchtbaren Augenblick. Aber es war gesagt, der Anspruch war hier und jetzt geboren: Ein jeder sollte bei sich denken dürfen, was er wollte! Jede großjährige Person sollte Auffassungen haben können und Einfälle nach völligem Belieben. Selbst Kindern sollte das gestattet werden. Auch Dummes und Gesetzloses sollte gedacht werden dürfen! Die Narren (von denen aber nicht recht gewusst wurde, was sie dachten und ob sie es taten) sollten die Gedankenfreiheit gleichfalls genießen – und später würde man das „Narrenfreiheit“ heißen – und die Mohren und Chinesen hinter den Bergen und den Meeren. Auf das Gesicht des Zycotá schob sich ein Lächeln, noch bevor die ersten Tränen flossen, der Spannung und der Freude zugleich – der Anspruch war geboren.

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